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Die Evangelisch-reformierte Kirche in Wölfersheim - Ein Kurzführer von Kathrin Ellwardt (1994)

Das Amt Wölfersheim war seit dem frühen 15. Jahrhundert in Besitz der Grafen von Solms-Braunfels. Die Landesherrschaft hatte im Ort nicht nur reichen Grundbesitz, sondern verfügte sogar über ein Schloss, welches aber schon im frühen 17. Jahrhundert unbewohnt und in schlechtem baulichem Zustand war. Auf seinen Grundmauern ist die heutige Kirche errichtet worden. Die Vorgängerkirche, die mittelalterliche Antoniuskapelle, stand weiter unten neben dem Schwarzen Turm. Wölfersheim hatte kurz nach 1400 Stadtrechte erhalten; da jedoch keine Entwicklung zur Stadt erfolgt ist, ist der Ort als Flecken zu bezeichnen.

Baugeschichte
Die Kirche wurde in der Regierungszeit des Grafen Wilhelm Moritz (*1651, reg. 1676-1724) begonnen, der in seinem Land zahlreiche Bauprojekte plante. Den Entwurf lieferte wahrscheinlich der Solms-Braunfelsiche Baumeister Meyer. Der Grundstein wurde am 29. Juni 1717 gelegt, nachdem bereits zwei Monate früher mit dem Brechen der Steine begonnen worden war. Zunächst ging der Bau zügig voran, doch schon nach zwei Jahren gab es Schwierigkeiten mit der Finanzierung. Ab 1720 kamen die Bauarbeiten aus Geldmangel vorerst zum Stillstand. Zu diesem Zeitpunkt waren die Außenmauern einschließlich der Hauptfassade fertig gestellt. Ein Dach und eine Turmhaube besaß die neue Kirche jedoch mit Sicherheit noch nicht, denn das Holz dafür wurde erst 1737 gekauft. In diesem Zustand, als Bauruine, blieb sie für 17 Jahre stehen.

Seit 1724 regierte Wilhelm Moritz' Sohn, Graf Friedrich Wilhelm (*1696, †1761), welcher 1742 zum Reichsfürsten erhoben wurde. In den 1720er Jahren unternahm die Landesherrschaft vergebliche Versuche, durch Kollekten das Geld für die Vollendung des Baues zusammenzubekommen. Die Arbeiten wurden erst 1737 wiederaufgenommen, nachdem die sog. Schenkung des Herrn von Pappenheim eingegangen war. Dabei handelt es sich um eine finanzielle Forderung des ehemaligen neuwiedischen Hofmeisters Wilhelm von Keller an seinen Dienstherrn, den Grafen von Wied, die auf das Jahr 1663 zurückging. Kellers Erbe, der in Wölfersheim ansässige Johann Wilhelm von Pappenheim, hatte die Forderung an die Kirchengemeinde übertragen. Erst nach einem langwierigen Prozess vor dem Reichskammergericht in Wetzlar zahlte Neuwied die Summe von insgesamt 6.000 Gulden aus (vgl. die Inschrift über dem Mittelportal), von der aber noch die Prozess- und Verwaltungskosten abgezogen wurden, so dass die Gemeinde nur 5.640 Gulden erhielt. - Die Vollendung des Baues ist der Initiative des damaligen Wölfersheimer Pfarrers Johannes Philipp Schmitthenner zu verdanken, der die gesamte Organisation übernahm und ständig in Sachen Kirchenbau unterwegs war. Die Gemeinde wurde zu Baumaterialfahrten und Handlangerdiensten verpflichtet, was zu Streitigkeiten führte, da die Belastungen hoch waren und nicht alle ihren Verpflichtungen nachkamen. In dieser Zeit ist in Wölfersheim eher Widerstand als Begeisterung für den Kirchenneubau zu spüren.

In die zweite Phase sind Dachstuhl und Turmhaube sowie der gesamte Innenausbau zu datieren. Im Frühjahr 1737 wurde sofort Bauholz gekauft und der Zimmermeister Johann Conrad Öhler unter Vertrag genommen, so dass im Juli 1738 der Dachstuhl und die Turmhaube aufgesetzt werden konnten. Mit der Planung war zunächst der Laubacher Bauschreiber Johann Wüstenfeld (Wiesenfeld) beauftragt worden. Dessen Entwürfe stießen aber offensichtlich auf Missfallen, so dass im Frühjahr/Sommer 1739 der Solms-Braunfelsische Baudirektor Johann Ludwig Knoch das Projekt übernahm, welcher den endgültigen Entwurf für den Innenraum lieferte. Auf Knoch geht vor allem die geschlossene Kanzelwand zurück, denn Wüstenfeld hatte einen offenen Chorraum geplant, in dem der Altar stehen sollte. Im Laufe des Jahres 1740 war die Innenausstattung im Wesentlichen fertig gestellt; über den Winter wurden die letzten Feinheiten zum Abschluss gebracht. Die Aufstellung der Orgel zog sich bis zum Frühjahr hin. Am 22. Mai 1741 wurde die Kirche feierlich in Gebrauch genommen.

Für die beiden Bauphasen gelten ganz unterschiedliche Bedingungen. In der ersten Phase war die treibende Kraft nicht die Gemeinde und auch nicht örtliche Adel, sondern kein anderer als Graf Wilhelm Moritz, der Landesherr und Patron. Die endgültige Fertigstellung der Kirche geht hingegen auf die Initiative des Pfarrers zurück, auch wenn Braunfelds unter Wilhelm Moritz' Nachfolger Friedrich Wilhelm weiterhin oberste Planungs- und Kontrollinstanz blieb.

 

Grundriss und Innenraum
Die Wölfersheimer Kirche ist eine Quersaalkirche, d.h. ein rechteckiger Gemeinderaum, in dem Kanzel und Abendmahlstisch vor der Mitte einer Längsseite positioniert sind. Damit entspricht sie in nahezu idealer Weise den Anforderungen des reformierten Predigtgottesdienstes. Die stützenfreie Decke wird über eine Spannweite von mehr als 14m von einem doppelten Hängewerk getragen. Die hölzerne zweigeschossige Kanzelwand schließt den rückwärtigen Flügel vom Gemeinderaum ab. Reformierter Tradition gemäß steht der Abendmahlstisch frei im Raum. Darauf liegt nur die aufgeschlagene Bibel, wobei es sich noch um jene Ausgabe der Lutherbibel von 1739 handelt, die die Gemeinde im November 1740 in Frankfurt gekauft hat. Über der Kanzel befand sich die erste Orgel (1737-41 von Conrad Lindt aus Weckesheim), welche am 10. November 1875 zerstört wurde, als ein Blitz in den Turm einschlug.

Drei Seiten des Raumes umzieht eine Empore, deren ansteigende Bankreihen an den Schmalseiten der Gemeinde zur Verfügung standen, während sich auf der Südempore Logen für die Herrschaft in der Mitte und die ortansässigen Adelsfamilien zu beiden Seiten befunden haben. Die herrschaftliche Loge war vom Mittelportal über einen eigenen Treppenaufgang direkt zugänglich. Die Logen besaßen Fensterfronten, deren Rahmen beiderseits der Orgel noch vorhanden sind. Noch heute hängt an der Empore das Wappen des Fürsten von Solms-Braunfels darunter ein geschnitztes Rankenornament, das von der alten Orgel stammt. Unter der Empore findet sich das stuckierte Monogramm Friedrich Wilhelms. Die heutige Orgel, ein Werk der Gebrüder Bernhard aus Gambach, wurde in den Jahren 1876/77 an die Stelle der herrschaftlichen Loge setzt. Dies war der einige gravierende Eingriff, den der Innenraum im Laufe seines Bestehens hinnehmen musste. Ansonsten ist die Raumgestaltung noch weitgehend die des 18. Jahrhunderts. Der gegenwärtige Zustand ist das Ergebnis der Renovierung von 1979-81, bei der u. a. der Sandsteinfußboden durch Marmorplatten ersetzt worden ist.

Obwohl das reformierte Bilderverbot streng befolgt wird, kann der Gemeinderaum augrund seiner architektonischen Gestaltung nicht als schmucklos bezeichnet werden. Ionische Säulen und Pilaster kommen an allen nur denkbaren Stellen vor: Kanzelwand, Emporenstützen, Logenfront, Kanzelkorb, Konsolen unter der Decke. Zwei Halbsäulen rahmen die Kanzel und zeichnen sie damit als den wichtigsten Ort im Kircheninneren aus.

Für die Gemeinde galt eine festgelegte Sitzordnung. Diese war nach Geschlecht und Familienstand eingeteilt; innerhalb jeder Gruppe saßen die Gemeindeglieder in der Reihenfolge ihres Geburtsalters. Die Frauen saßen im Erdgeschoss, die Männer auf der Empore. In den langen Bänken an den Schmalseiten hatten die Gerichtsschöffen und Kirchenältesten sowie gegenüber einige alte Männer ihre Platze. Die Sitzordnung in der Kirche spiegelte die ständische Weltordnung der Frühen Neuzeit wider, nach der jedem und jeder Einzelnen sein bzw. Ihr Platz in der Gesellschaft von Gott zugewiesen war.

 

 

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